Ein Brief an meine Tochter

Liebe Esther,

Letztes Jahr schrieb ich ein Buch für und mit Deinem Bruder. Die Initialzündung kam, wie Du weisst, durch seinen Entschluss, auf dem Einrad von Coventry nach Bristol zu fahren und dass ich ihn begleiten sollte. Etliche Tage und einige hundert Meilen später habe ich einiges über Joe erfahren und über mich selber. Es machte mich nachdenklich. Ich hatte bereits fünfzehn Jahre mit ihm verbracht, aber es brauchte etwas Ausserordentliches um mich zum Schreiben zu inspirieren.

So habe ich auch mit Dir beinahe neunzehn Jahre gemeinsames Leben verbracht. Wir haben vielleicht nicht so etwas Ausserordentliches miteinander erlebt wie eine verrückte Einradtour. Du und ich haben aber eine lange Zeit miteinander verbracht und Du, ja genau Du hast mich herausgefordert über das Abenteuer der Vaterschaft nachzudenken und etwas davon aufzuschreiben.

Obwohl ich schon immer davon geträumt hatte, begann diese unglaubliche Reise vor neunzehn Jahren, ohne dass ich wirklich viel Ahnung hatte, was es heisst Vater zu sein und Kinder gross zu ziehen.

Eine der ausserordentlichsten Aussagen aller Zeiten stammt von Jesus. Er nahm ein kleines Kind und sagte zu seinen Jüngern:“ Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matthäus 18:3) Bei einer anderen Gelegenheit, als seine Jünger versuchten Kinder daran zu hindern zu Jesus zu kommen sagte er:“ Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“(Matthäus 19:14). Und:“ Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“(Markus 10:15)

Dann, in einer sogar noch unerhörteren Aussage sprach Jesus zu Nikodemus, einem sensiblen und intelligenten Mitglied des regierenden jüdischen Rates:“ Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“(Johannes 3:3) Dieser Vers wird immer wieder in einer sehr engen Art und Weise durch evangelikale Christen verbreitet, als eine Art Marke, an der man erkennt, wer zu diesem Gottesreich dazugehört und wer nicht. Ich denke, dass Nikodemus der Wahrheit sehr nahe war, als er fragte:“ Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoss seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden.“(Johannes 3:4) Jesus hat ihn nicht getadelt oder ihn einen Dummkopf geschimpft für diese Frage. Es war eher als hätte er mit seiner Aussage eine solch skeptische Antwort provozieren wollen. Jesus fuhr nun fort von Geburt aus Wasser und Geist zu sprechen, aber er hat seine Originalaussage nicht wiederholt. Vielleicht sind wir zu schnell, wenn wir alles nur auf einer geistlichen Ebene betrachten, ohne in die Tiefe von „ von neuem geboren werden“ und „ wie die Kinder werden“ zu gehen.

Durch meine Arbeit habe ich Tausende von Babies und Kindern gesehen und jedes einzelne hat mich gelehrt, was dies genau bedeutet. Ich durfte freudig miterleben wie Babies zur Welt kamen, ihren ersten Atemzug taten und die ersten Versuche unternahmen mit der Umwelt zu kommunizieren. Ich hatte die Gelegenheit die Entwicklung von Kindern zu studieren und zu beobachten was passiert wenn ein Kind heranwächst, und habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wie und warum manchmal etwas schief läuft. Ich habe viel gelernt von diesen Kindern und deren Familien.

Am meisten aber habe ich von Dir gelernt. Ich habe vor neunzehn Jahren mitgeholfen, Dich auf die Welt zu bringen, Dir beim Wachsen zugeschaut, mit Stolz und Verwunderung gesehen wie Du zu einer wundervollen jungen Frau herangewachsen bist.

Gleichzeitig habe ich darüber nachgedacht, was es bedeutet Jesus nachzufolgen. Ich habe versucht sein Lehren zu begreifen und die Bedeutung für mein Leben und dein Leben, jetzt wo Du als junge Frau wegziehst und eine neue Lebensphase beginnst.

Dieses Buch ist also für Dich. Vielleicht kann ich Dir ein wenig von dem zurückgeben, was Du mich gelehrt hast und für mich wertvoll wurde.

Dein Dich liebender Vater

 

August 2011

 

Family things 010